Donnerstag, 29. September 2011

angezettelt - 3/2011 - thema: Lese- und Literaturföderung



Ein Haus, eine Geschichte, eine Reparatur

Als ich das Haus am Albertplatz
kurz nach dem Mauerfall zum ersten Mal gesehen habe, war es eine dunkle Ruine. Damals nahm man den Albertplatz ohnehin nicht als wichtigen Ort in der Stadt wahr. Es reihten sich ruinöse Häuser, Villen und brachliegende Grundstücke aneinander, die Königsbrücker Straße als Ader zum Flughafen war vollgestopft mit Taxis und Trabis. Ich hatte in Erich Kästners Kindheitserinnerungen gelesen, dass in der Villa Augustin der reiche Onkel Franz lebte. Kästner war oft dort. Ein Weltkrieg und der Eiserne Vorhang gaben das Haus dem Verfall preis. Heute beherbergt die Villa unseren Verein, der das Erich Kästner Museum und das Dresdner Literaturbüro betreibt. Der Verein wird institutionell gefördert, um neben vielen eigenen Projekten die Dresdner Literaturszene zu stärken und den Literaturbetrieb nach außen zu öffnen. In den vergangenen 16 Jahren wurde Vieles ins Leben gerufen: Jürgen Fuchs gab eine der dramatischsten Lesungen, die ich je erlebt habe; Weltbürger wie Lars Gustafsson, Inger Christensen, Cees Nooteboom, Michael Hofmann, Schriftsteller aus Dresden, Leipzig und der Region Sachsen waren im Programm; aus den Dresdner Lyriktagen wuchs das internationale Poesiefestival BARDINALE, das 2011 sein 10. Jubiläum feiert. Nachwuchsprogramme und neue Wege der Literaturvermittlung wurden entwickelt. Damals, als ich nach Dresden kam, gab es kein Erich Kästner Museum und kein Literaturbüro. Wir Literaturinteressierte trafen uns im Café Donnersberg, in der Jugendbibliothek und an anderen verstreut liegenden Orten. Wir hatten die Stadt und ihre Geschichte und ihre Menschen und ihre Literatur. Als Kästner seinen 100. Geburtstag feierte, ergriffen wir die Chance, unsere Arbeit mit einem authentischen literaturhistorischen Ort zu verbinden. Die Villa Augustin war gut geeignet für die weitere Entwicklung unseres Literaturhausprojektes: eine autarke Villa, mitten in der Stadt an einem besonderen Ort, verkehrstechnisch optimal vernetzt. Über dieses Haus wurde von einem der bekanntesten Autoren Deutschlands geschrieben, heute wird in diesem Haus gelesen und geschrieben. Das ist nachhaltige Kulturpflege. Ein Haus benötigt eine Adresse. Ein Literaturhaus braucht einen eigenen Eingang, ein eigenes Dach, eine Verbindung von Literatur und Baukultur. Seit Juni 2011 betreiben wir in der zweiten Etage ein Lesecafé mit Ausstellungsfläche und ein Büro für Schriftsteller. Hier ist etwas Besonderes gewachsen, ganz real - lokal, sächsisch, europäisch und weltoffen. Es ist im Stadtraum lesbar wie ein Buch. Das Haus ist keine Ruine mehr, sondern ein lebendiger, wachstumsfähiger Ort für Literatur. Ein Literaturhaus eben.

Ruairí O'Brien
Vorstandsvorsitzender


Infokasten
Förderverein für das ERICH KÄSTNER MUSEUM/Dresdner Literaturbüro e.V.
Literaturhaus Villa Augustin
Antonstraße 1, 01097 Dresden
Tel. 0351-8045087, Fax 8045066
http://www.literaturhaus-dresden.de/
http://www.literaturweltdresden.de/

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